Stark überarbeite und ergänzte Trainingskonzepte für den Langsprint

  19.03.2020    Neue Inhalte Leistungssport
Robert Schieferer hat seinen Artikel zur Trainingsmethodik im Langsprint stark erweitert. Er zeigt verschiedene Programme auf und diskutiert Vor- und Nachteile.

Im Disziplinblock „Sprint“ nehmen die 400 Meter und 400-Meter-Hürden eine besondere und herausgehobene Stellung ein: Um über diese Distanzen erfolgreich sein zu können, benötigen Sportler nicht nur hohe Schnelligkeitsvoraussetzungen, sondern auch ausgeprägte Ausdauer-/Schnelligkeitsausdauerfähigkeiten, die über die 100 Meter, 200 Meter, 100- und 110-Meter-Hürden nur eine deutlich untergeordnete Rolle spielen.

Beispielhafte Trainingsprogramme für die Bereiche Langsprint/Langhürden

Die Schnelligkeit im Sinne von „Grundschnelligkeit / maximaler Sprintschnelligkeit“ hat für die 400 Meter und 400-Meter-Hürden eine herausragende Bedeutung.

Dennoch sollten sich Trainingsprogramme der Langsprinter von denen der Kurzsprinter unterscheiden – denn eine konditionelle Leistungsvoraussetzung, die für den Kurzsprint keine Bedeutung hat, limitiert Leistungen über 400 Meter und 400-Meter-Hürden nachhaltig: Die aerobe Kapazität bzw. aerobe Grundlagenausdauer:

 

In der wissenschaftlichen Literatur finden sich unterschiedliche Angaben zum Einfluß der aeroben Ausdauer auf die 400-Meter-Leistung:

Moosburger (2009) spricht von ca. 25%, die die aerobe Glykolyse Anteil an der muskulären Energiebereitstellung hat.

Hartmann (2015) nennt sogar einen Energiebereitstellungsanteil von 45% für den aeroben Bereich im Rahmen eines 400-Meter-Laufs.

 

Auch wenn diese Angaben recht deutlich differieren, so lässt sich für die Trainingspraxis doch eine eindeutige Aussage ableiten: Ohne aerobe Ausdauer ist ein 400-Meter-Lauf nicht in angemessener Qualität zu bewältigen.

 

Da der Organismus / die Zelle auf die extrem hohen Belastungen eines 400-Meter-Laufs langfristig und systematisch vorbereitet werden müssen, unterscheiden sich die Intensitäten der so genannten „Tempolaufprogramme“ innerhalb der Saisonvorbereitung deutlich voneinander.

Zur Klassifizierung wurden vier unterschiedliche Intensitätsgrade definiert:

  1. nI-Läufe sind Läufe mit „niedriger Intensität“, bei denen die Energie vorrangig auf aerobem Wege gewonnen wird.
  2. Tempoläufe im I3-Bereich bilden eine Art Übergang zwischen Läufen mit niedriger und Läufen mit hoher Intensität. Die Energiegewinnung erfolgt, trotz der mittleren Intensität von 80–85%, bereits überwiegend anaerob und unter Bildung von Lactat.
  3. Tempoläufe im I2-Bereich werden mit etwa 90% der maximal möglichen Intensität durchgeführt und können als wettkampfnahes Training bezeichnet werden. Hier entstehen bereits hohe Lactatbelastungen.
  4. Tempoläufe im I1-Bereich sind mit Wettkämpfen bzw. mit Läufen mit maximaler Intensität von 100% gleichzusetzen.

Eine systematische Intensitätsentwicklung (beginnend mit nI-Läufen, über I3- und I2-Programme bis hin zu maximalen Laufbelastungen) findet nicht mehr in jedem Trainingskonzept für den Langsprint statt.

Häufig wird der so genannte I3-Bereich ausgelassen, um über einen längeren Zeitraum nahe der Wettkampfzielgeschwindigkeit trainieren zu können.

Solche Konzepte sollten allerdings dem Anschluß- und Spitzenbereich vorbehalten bleiben.

Im Nachwuchsbereich gilt der Grundsatz: Die Intensität des Trainings ist im langfristigen Mehrjahresaufbau die Leistungsreserve – nicht der Umfang!

Gerade im Nachwuchsbereich sollten „Überdistanzläufe“ (also Läufe, die länger als die Wettkampfdistanz sind) noch nicht im hohen Intensitätsbereich erfolgen, sondern vorrangig nur im Bereich der I3-Läufe realisiert werden.

Trainingsprogramme zur Entwicklung der Schnelligkeit

Wer „ausdauernd schnell“ laufen möchte, muss sich bereits hohe Schnelligkeitsvoraussetzungen erarbeitet haben.

Die Schnelligkeit hat immer Vorlauffunktion (d.h. sie ist Voraussetzung) für die Schnelligkeitsausdauer.

Um hohe Schnelligkeitsvoraussetzungen zu schaffen, sollte ganzjährig mindestens 1 x pro Woche ein Beschleunigungs- und Schnelligkeitstraining in absolut ausgeruhtem Zustand durchgeführt werden.

Dabei sollten die Umfänge innerhalb der Trainingseinheit etwas höher definiert werden als die Umfänge eines reinen Kurzsprinters.

 

         Beschleunigung (aus Dreipunktstart / oder Tiefstart):

                   2 x (10-20-30-40-50 m) mit 1-2-3-4-5 min. Pause und 8 min. Serienpause

                   oder

                   10-20-30-40-50-60-30-60 m Abläufe mit 1-2-3-4-5-6-3-6 min. Pause

                    maximale Schnelligkeit / „Top-Speed“ (aus 30 m Anlauf):

                   2 x 4 x 30 m fliegend mit 5 min. Pause und 10 min. Serienpause.

                   oder

                   6 x 40 m fliegend mit 7-8 min. Pause.

Die Streckenlängen sollten im Bereich der Beschleunigung möglichst variabel gewählt werden. Ziel muss sein, möglichst lange möglichst hoch zu beschleunigen, d.h. die positive Beschleunigung (Geschwindigkeitszunahme) sollte mindestens über 50 Meter durchgehend erfolgen.

 

Vorbereitet werden sollte die Entwicklung der Beschleunigung und Schnelligkeit über intensives Training an der Sprinttechnik (Speed-Drills, in ausgeruhtem Zustand). Auch dieses Training sollte möglichst variabel gestaltet und nicht auf ein „abarbeiten“ von Standard-Übungen reduziert werden. (Variationen können hierbei z.B. auch durch unterschiedliche Armpositionen erfolgen = Arme seitlich wegstrecken, Arme nach oben strecken etc.).

Trainingsprogramme zur Entwicklung der Ausdauer und Schnelligkeitsausdauer

Viele Wege führen nach Rom – aber noch mehr Wege führen an Rom vorbei!

Diese Erkenntnis gilt in besonderem Maße für die Ausgestaltung des Langsprinttrainings. „Fingerspitzengefühl“ des Trainers ist gefragt – und seine Anwesenheit bei allen Schwerpunkttrainingseinheiten.

Beispielsweise wird kontrovers diskutiert, ob Dauerläufe überhaupt Bestandteil des Trainings eines Langsprinters sein sollten – befürchtet wird von Kritikern der Dauerläufe eine Einschränkung der Schnelligkeitsentwicklung durch lange Läufe in sehr niedriger Geschwindigkeit.

 

Es gilt hierbei zu beachten, dass es relativ unterschiedliche „Athletentypen“ gibt, die im Langsprint erfolgreich sind: Für einen Nachwuchsathleten, der auch über 800 Meter sehr gute Leistungen erzielt, sind Dauerläufe ein empfehlenswertes Trainingsmittel. Für „Umsteiger“ vom Kursprint zum Langsprint kann es durchaus adäquater sein, auf Dauerläufe zu verzichten.

Die Schnelligkeit als Basis/Ausgangspunkt einer Langsprint-Trainingskonzeption zu wählen, setzt aber weitaus höhere Zubringerwerte über 200 Meter voraus, als eine Zeit im Bereich der jeweiligen Altersklassennorm für deutsche Meisterschaften.

Der Benefit von Dauerläufen ist durchaus auch in der regenerativen Wirkung für die Muskulatur und in der Stärkung des Immunsystems (das für den Langsprint herausragende Bedeutung hat) zu sehen.

Generell sollte für die Entwicklung der Schnelligkeitsausdauer gelten: Innerhalb eines Mesozyklus und innerhalb einer Intensitätsstufe wird sinnvoller Weise mit kürzeren Läufen begonnen, und die Strecken werden dann von Woche zu Woche verlängert.

Im nI-Bereich empfiehlt sich der Einsatz von alternierenden / kontrastierenden Programmen (d.h. kurze und lange Distanzen wählen).

Der I3-Bereich dient mit seinen Intensitäten von 80–85% nicht nur          der Vorbereitung auf hohe und höchste Intensitäten. Der I3-Bereich    ermöglicht auch innerhalb der Wettkampfphase eine „Absicherung         des Ausdauervermögens“. Daher sollte in der Wettkampfphase niemals über einen längeren Zeitraum ausschließlich mit hohen Intensitäten trainiert werden (da dann die aerobe Kapazität zu stark absinkt), sondern es sollten regelmäßig auch I3-Läufe zum Einsatz kommen, um einen Leistungsabfall innerhalb der Wettkampfphase (vor allem im zweiten Teil der Wettkampfphase) zu verhindern.

Der Intensitätsbereich für die so genannten Läufe mit niedriger Intensität (nI-Läufe) wird mit 50–75% angesetzt, ist also sehr weit gefasst.

Problematisch ist hierbei, wenn Laufzeiten streng mathematisch als Ableitung von der Zielgeschwindigkeit definiert werden. Dies kann dazu führen, dass die nI-Läufe bereits zu schnell ausgeführt werden und eine Überforderung des Athleten droht – denn die nI-Läufe sollen vorrangig die aerobe Energiegewinnung ansprechen und auf spätere Trainingsprogramme mit höheren Intenstitäten erst vorbereiten. Zur richtigen Aussteuerung von Laufgeschwindigkeiten im nI-Bereich ist vor allem darauf zu achten, dass sich die Sportler rasch vom Laufprogramm erholen und das Training eher als eine „Belastung für das Herz-Kreislauf-System empfinden als eine muskuläre Belastung“.

Um eine sehr grobe Orientierung für Laufgeschwindigkeiten zu geben, werden bei den nachfolgenden Programmen beispielhafte Zeiten genannt, die für eine Nachwuchsathletin gelten können, die über 400 Meter eine Zeit von 58,00 Sekunden bzw. über 400-Meter-Hürden eine Zeit von 63,00 Sekunden anstrebt.

                   nI-Läufe:                     

                            5 x 5 x 100 Meter mit 30 sec. Pause und 5 min. Serienpause (in 17–18 sec.)

                            oder

                            6 x 600 Meter mit 2:30 min. Pause (in 2:30 min.)

                            oder

                            4 x 600 Meter mit 2:30 min. Pause – 5 min. Serienpause – 10 x 100 Meter mit 30 sec. Pause (in 2:30 min. bzw. 17–18 sec.)

 

 

                   I3-Läufe:

                            3 x 5 x 100 Meter mit 3–4 min. Pause und 8–10 min. Serienpause (in 14,0 sec. = d.h. etwas schneller als die Durchschnittsgeschwindigkeit der 400-Meter-Zielzeit)

                           

                            2 x 5 x 150 Meter mit 5–6 min. Pause und 10–12 min. Serienpause (in 22,5 sec.)

 

                            100–150–200–250–250–200–150–100 Meter mit 4–6– 8–10–10–8–6 min. Pause (in 13,9 / 21,8 / 30,5 / 39,5 sec.)

 

                            150–400–150–400–150 Meter mit 6–12–6–12 min. Pause (in 21,5 / 70,5 sec.)

 

 

                   I2-Läufe:

                            100–300–250–200–100 Meter mit 10–20–15–12 min. Pause (in 13,2 / 43,5 / 35,9 / 28,0 / 13,3 sec.)

 

                            5 x 200 Meter mit 10–12–14–16 min. Pause (in 30,0 /29,5 / 29,0 / 28,5 / 28,0 sec.)

 

 

Tempoläufe mit maximaler Intensität sollten im Nachwuchstraining nicht zum Einsatz kommen bzw. nur über kurze Distanzen bis 150 Meter. Wettkämpfe haben hier den Charakter von Tempoläufen mit maximaler Intensität.

 

Während der Wettkampfphase sollte das Tempolauftraining möglichst variabel gestaltet werden, um das Leistungsniveau hoch zu halten bzw. weiter auszuprägen. Dafür eignen sich Trainingsprogramme, bei denen unterschiedliche Intensitäten gemischt werden.

 

                   Mixed programs:

                            150–400–150–400–150 Meter mit 15 min. Pause

(in 19,8 bzw. 69,0 sec. = das bedeutet, die 150-m-Läufe sind dem hohen I2-Bereich zuzuordnen, die 400-m- Läufe dem I3-Bereich.)

 

200 Meter (aus dem Startblock, vom 400-m-Start aus;

in der Zeit, in der die 400-Meter im Wettkampf angelaufen werden sollen = ca. 27,8 sec.)

 – 20 min. Pause –

400 Meter Crescendolauf (ca. 18–17–16–15 sec. für die 100-m-Abschnitte = ca. 66 sec. als Endzeit)

– 20–30 min. Pause –

3 x 100 Meter mit 4 min. Pause (in ca. 13,9 sec. = d.h. etwas schneller als die Durchschnittsgeschwindigkeit für die 400-Meter-Zielzeit)

 

3 x 300 Meter mit 15 min. Pause (immer einen 100-m- Abschnitt vorab definieren, der maximal und mit individuell optimaler Sprinttechnik gelaufen wird = im 1.Lauf die ersten 100-Meter, im 2. Lauf die zweiten 100-         Meter, im 3. Lauf die letzten 100-Meter. Endzeit ist dann ca. 45–47 sec.).

Abschließend sei noch auf die Bedeutung der Sprinttechnik für gute 400-Meter-Leistungen hingewiesen:

Während ein 100-Meter-Sprinter durchaus auch eine „kraftaufwendige“ Sprinttechnik haben kann, ist der 400-Meter-Läufer darauf angewiesen, einen sehr „ökonomischen Laufstil“ auszuprägen. Er strebt an: Bei einem relativ langen Schritt mit bestmöglicher aktiver Entspannung hohe Geschwindigkeiten realisieren zu können.

Der 400-Meter-Läufer muss seine definierte Durchgangszeit für die ersten 200-Meter exakt treffen – und dabei die Empfindung haben, diese Geschwindigkeit „ohne hohen Aufwand“ realisiert zu haben.

Vorbereitet werden kann dieses „Sprinten mit optimaler aktiver Entspannung“ z.B. über Ins and outs, die über 90 Meter absolviert werden. Dabei wird auf den ersten 30 Metern hoch beschleunigt; auf den zweiten 30 Metern ist es die Aufgabe, mit maximaler Schrittlänge und höchstmöglicher Entspannung die Geschwindigkeit möglichst hoch zu halten; auf den letzten 30 Metern soll nun versucht werden, bewusst die Schrittfrequenz nochmals zu erhöhen.

Im Anschluß- und Spitzenbereich können solche Ins and outs auch über 120 bzw. 150 Meter durchgeführt werden.

Da der 400-Meter-Läufer auch beim Kurvensprint eine hohe Schrittlänge realisieren soll, können diese Ins and outs Programme auch in der Kurve (als Variation auch gegen die Laufrichtung) absolviert werden.

„Fliegende Sprints“ können im Vergleich zum Kurzsprinter über längere Distanzen erfolgen – auch dies ist dem Anschluß- und Spitzenbereich vorbehalten: Z.B. wird eine Zielzeit über „30 Meter fliegend“ mit einem von Lauf zu Lauf länger werdenden Anlauf erreicht (20–30–40–50–60–70 Meter Anlauf für die fliegenden 30 Meter, d.h. der letzten Lauf hat eine Länge von 100 Metern).

Robert Schieferer

 

Den gesamten Artikel finden sie rechtsseitig oder später auch unter:  Downloads / Trainingsplanung/ -methodik.

 

erstellt von rs